August Sander wurde am 17. November 1876 als zweiter Sohn des Ehepaars August und Justine Sander in Herdorf geboren. Seine Kindheit und Jugend verbrachte er zwischen Siegener Land und Westerwald. Der Alltag und die Gemeinschaft der landbesitzenden Bauern und Bergleute war geprägt von harter Arbeit und dem Leben mit der Natur. Kurz vor dem Ende des 19. Jahrhunderts wurde der 18-jährige August Sander 1897 zum Militärdienst einberufen. In der Garnisonsstadt Trier war er als einer von zahlreichen jungen Männern bei der Preußischen Armee stationiert. Dank dieser Erfahrung eröffnete sich dem jungen Mann, der als Fotograf und Chronist seiner Zeit und den ‚Menschen des 20. Jahrhunderts‘ bekannt werden sollte, eine neue, damals noch unbestimmte Zukunft.
August Sanders eher zufällige Begegnung mit der Fotografie als Junge zählt heute zu den beliebtesten Erzählungen über den Beginn seines Werdegangs. Sein erster Blick durch die Linse der Kamera auf eine spiegelverkehrte Welt ist ein Sinnbild für die Wende, die die Fotografie in August Sanders Leben bewirkte. Der Fotograf Friedrich Schmeck ermöglichte ihm dieses Erlebnis. Er war aus Siegen für einen Auftrag in das Bergwerk gekommen, in dem der junge August als Haldenjunge arbeitete. Dieser Moment war für August Sander derart prägend, dass er sich mit Hilfe seines Onkels Daniel seine erste Kamera kaufte. Auch auf den Fotografen Schmeck schien der Junge aus Herdorf Eindruck gemacht zu haben, denn er schickte ihm später ein Handbuch zur Fotografie.
Wie bei vielen Fotografen am Ende des 19. Jahrhunderts üblich, näherte sich August Sander der Arbeit mit der Kamera und der Herstellung von Fotografien als Autodidakt. Mit Hilfe von Handbüchern erhielt er erste Grundlagen an fotografischem Fachwissen, das er durch praktische Übung erprobte. Im Studio des Siegener Fotografen Carl Siebel konnte August Sander sich in den verschiedenen Bereichen des Handwerks üben. Neben dem theoretischen und praktischen Wissen zeichnet das Gespür für ein gutes Motiv Sanders Arbeit als Fotografen aus. Diesem Gespür nachfolgend, fand er seine ersten eigenen Motive in den Bewohnern seiner Heimat.
Die frühen Fotografien August Sanders spiegeln wieder, dass er sich zielstrebig und mit großem Selbstbewusstsein einen eigenen Namen als Fotograf machen wollte. Die Rückseite eines auf Karton montierten Portraits trägt das Konterfei August Sanders und einen Stempel mit der Aufschrift „August Sander - Herdorf“. Dies legt ein eindrucksvolles Zeugnis darüber ab, wie August Sander sein Selbstverständnis als Fotograf bereits als junger Mann auf seinen Werken verewigte.
Ein entscheidender Moment in August Sanders Leben war die Einberufung zum Militär. Dies war für August Sander der Anlass, seiner Heimat im Westerwald, der Arbeit in der elterlichen Landwirtschaft und im Bergwerk zumindest für einige Zeit den Rücken zu kehren. Die Grundausbildung bei der Preußischen Armee war im Deutschen Kaiserreich unter Wilhelm I. für alle jungen Männer verpflichtend. Darüber hinaus eröffnete der Militärdienst einfachen Bürgern die Möglichkeit zum Reisen - ein Privileg, dass sich um die Jahrhundertwende sonst nur die wenigsten leisten konnten.
Das Leben als junger Soldat bedeutete für August Sander den Dienst für das kaiserliche Preußen abzuleisten – aber auch ein Leben in der Garnisonsstadt Trier. Um 1897 bot das Leben in Trier die moderne Infrastruktur einer mittelgroßen Stadt im Industriezeitalter; mit Eisenbahnanschluss und vielen kulturellen Angeboten. Auch in Trier konnte August Sander seinem Interesse an der Fotografie und seiner Absicht, selbst ein Fotograf zu werden, nachgehen. In seiner freien Zeit war er eigenen Aussagen zufolge als Assistent im Studio des Fotografen Georg Jung tätig. Auch erhaltene fotografische ‚cartes de visite‘ zeugen davon.
Nach Abschluss meiner Militärzeit nahm ich bei demselben Photographen eine Stelle als Freilichter an und ich kann sagen, daß ich Erfolg hatte.August Sander, Mein Werdegang als Photograph, 1950er Jahre
Der Militärdienst und seine Mitarbeit im Fotografenatelier in Trier erweiterten den Horizont des jungen August Sander. Sie eröffneten ihm die Perspektive, sein Leben selbst in die Hand nehmen zu können, seinen eigenen Interessen zu folgen und seine Talente auszubilden. Zu einer Zeit, in der die Nachfolge in den elterlichen Beruf als Bauer und Bergarbeiter bereits vorbestimmt zu sein schien, änderte dies alles. In dieser Phase seines Lebens lernte er auch Anna Seitenmacher kennen, die aus einer Trierer Bürgerfamilie stammte und als Modistin in der Stadt arbeitete. Sie wurde August Sanders lebenslange Partnerin, gründete mit ihm eine Familie und führte mit ihm sein eigenes Fotostudio.
Mit dem Ende seiner Zeit in Trier kehrte August Sander 1899 nicht in den Westerwald zurück. Er ging stattdessen auf Reise durch Deutschland und machte dabei Station in deutschen Städten, darunter Berlin, Magdeburg, Halle und Leipzig. In Dresden soll er einen Kurs für Malerei und Zeichnung besucht haben. Auch die Mitarbeit August Sanders in einzelnen fotografischen Studios oder Firmen zum Praxiserwerb findet sich in einigen Quellen.
Einige Zeit später fand ich eine neue Stelle in Hagen in Westfalen und anschließend daran in Chemnitz. Von dort ging ich nach Dresden wo ich die Zeichenschule besuchte, solange meine Mittel reichten.– August Sander, Mein Werdegang als Photograph, 1950er Jahre
August Sander reiste um die Wende des 20. Jahrhunderts durch eine noch junge deutsche Nation, die in dieser Form erst seit 1871 existierte. Diese Erfahrung prägte sein Verständnis von der deutschen Gesellschaft und der Menschen, die darin lebten: Ihr Leben war geprägt durch Wirtschaftswachstum, die Anfänge des Kapitalismus und einer Gründerzeitstimmung. Der Eisen- und Stahlbau und die ersten großen Elektro- und Chemiekonzerne boomten und ermöglichten die Herausbildung eines Kleinbürgertums. Doch der durch die Maschine vorgegebene Rhythmus führte auch zur Erschöpfung des Menschen, zu einer zunehmenden Armut der einfacheren Arbeiter und einem Wachstum der Städte. Erste Gastarbeiter kommen als Teil einer großen, allgegenwärtigen Migration innerhalb Europas nach Deutschland. Der Erste Weltkrieg und die Entstehung der Weimarer Republik waren zu diesem Zeitpunkt noch nicht in Sicht.
Diese für August Sander gewiss außerordentlich wichtigen Jahre des Selbststudiums und der Wanderschaft durch Deutschland zählen zu dessen unerforschteren Lebensphasen. Sie können dennoch als Zeichen dafür gewertet werden, dass sich Sander aktiv darum bemühte, sich weiter als Fotograf zu qualifizieren. Schließlich bewarb er sich mit Erfolg auf eine Stelle als technisch-fotografischer Assistent im österreichischen Linz.
In der österreichischen Stadt Linz an der Donau trat August Sander nach seinen Lehr- und Wanderjahren 1900 die Position als ‚1. Operateur‘ in der ‚Fotografischen Kunstanstalt Greif‘ an. Damit begann seine Tätigkeit als niedergelassener Fotograf. Im Jahr 1904 übernahm er den Betrieb vollständig unter dem Namen ‚Photographische Kunstanstalt 1. Ranges, August Sander‘. Das angebotene Portfolio umfasste Portrait- und Landschaftsfotografie in verschiedenen technischen Ausführungen der klassischen Fotografie aber auch Arbeiten beispielsweise für Museen oder andere Auftraggeber.
Später war ich dann wieder gezwungen eine Stelle anzunehmen. Ich ging nach Österreich und zwar nach Linz an der Donau.– August Sander, Mein Werdegang als Photograph, 1950er Jahre
Am 15. September 1902 heirateten August und Anna Sander in Trier. Anna unterstütze ihren Mann von Beginn an bei seiner beruflichen Etablierung in Linz. Gemeinsam betrieben sie seit 1904 das Atelier; der Übergang von Arbeits- und Lebensraum war im Hause Sander fließend. Zeitweise waren in ihrem Betrieb bis zu sieben Personen angestellt. In dieser Zeit gründete das Paar auch eine eigene Familie mit den ersten beiden Kindern Erich und Gunther. Die Zwillinge Sigrid und Helmut kamen 1911 in Köln zur Welt, Helmut starb jedoch kurz nach der Geburt. Diesen Schicksalsschlag hielt Sander in der intimen und anrührenden Fotografie ‚Meine Frau in Freud und Leid‘ fest.
Durch die preisgekrönte Beteiligung an Ausstellungen und Wettbewerben in Österreich, Deutschland und Frankreich fand August Sanders Arbeit als Fotograf erste breitere öffentliche Würdigungen. Diese bestätigen den Wert seiner Arbeit und dokumentieren Sanders Aufgeschlossenheit für unterschiedliche fotografische Verfahren, deren Ausführung er in hoher Qualität beherrschte. August Sanders Linzer Zeit war in dieser Hinsicht durch eine große fototechnische Experimentierfreudigkeit geprägt. Im Winter 1906 fand im Landhauspavillon in Linz August Sanders erste Einzelausstellung mit 100 Werken statt.
Auf dem Höhepunkt des Historismus war Linz eine Stadt mit einer reichen und wachsenden Kulturszene, Theatern und einem Kunstmuseum, aber ohne bemerkenswerte modernistische Bewegung. In dieser Zeit inszenierte sich August Sander als künstlerische Persönlichkeit im historischen Stil und bediente damit ein allgemein vorherrschendes bürgerliches Selbstverständnis. Er adressierte das Selbstbewusstsein seiner Kunden aus der Bourgeoisie und der großbürgerlichen Schicht und deren Interesse an der Selbstdarstellung. Sander selbst, seine Familie wie sein Atelier spiegelten diesen Zeitgeist ebenso wie die Fotos für seine Kunden wider.
Im Jahr 1910 brach in Linz eine Polio-Epidemie aus. Wie für alle Bürger war dies auch für die Familie Sander und ihre drei Kinder eine ernsthafte gesundheitliche Bedrohung. Als der älteste Sohn Erich tatsächlich erkrankte, beschloss Anna, ihre Kinder ins heimatliche Trier zu bringen. Auch August Sander folgte seiner Familie schließlich nach. Das Fotostudio in Linz hatte sich in diesen Jahren als wirtschaftlich instabil erwiesen, was zu dessen Schließung führte.
Das Leben in der Metropole am Rhein war Anfang der 1910er Jahre von Katholizismus, Industrie, Handel und Kunst geprägt. Köln war auch die Stadt, in der August Sanders Kinder aufwuchsen und zur Schule gingen. Auf vielfältige Weise hielt Sander die Stadt Köln ebenso wie ihre Bewohner in seinem Werk fest.
Die Eröffnung des Fotostudios in Köln im Jahr 1911 stellte für die Familie Sander einen Neustart dar. In der Dürener Straße 201, im bürgerlichen Stadtteil Lindenthal, bewohnte die Familie Sander ein Wohnhaus in dessen erster Etage sich das Studio und die Labor- und Arbeitsräume befanden. Eine Assistentin half bei der Erledigung der täglichen Arbeit des Fotostudios. Wie schon in Linz gingen Arbeits- und Lebensbereich fließend ineinander über. Im Jahr 1914 beteiligte sich August Sander an der Kölner Werkbundausstellung im Rheinpark.
Mit dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs wurde August Sander zum Militärdienst in Belgien eingezogen. Anna Sander führte während dieser Zeit den Betrieb eigenständig weiter. Neben üblichen Aufträgen der Kundschaft spezialisierte sich Anna Sander auf das Porträtieren von Soldaten, die in Köln stationiert waren und sich in Uniform ablichten lassen wollten. Damit konnte sie die wirtschaftliche Absicherung der Familie weitestgehend sicherstellen. Nach seinem Einsatz als Infanterist und Lazarettsoldat wurde August Sander vergleichsweise früh wieder zurück nach Köln versetzt. Dort konnte er seine eigene Arbeit als Fotograf wieder aufnehmen.
Das Kriegsende erlebte die Familie gemeinsam in Köln.[1]
In den letzten Jahren des Ersten Weltkriegs und auch danach fuhr August Sander von Köln aus regelmäßig in den Westerwald, um dort die Bauern seiner alten Heimat zu porträtieren. Die Porträts für die dort gewonnene Kundschaft brachte der Familie ein zusätzliches Einkommen. Doch führte August Sander auch ein genuines Interesse an den Menschen dieser ländlichen Region immer wieder zu ihnen. Sie wurden zu einem regelmäßigen Sujet in seinem Werk und begleiteten ihn ebenso wie die sie umgebende Landschaft über viele Jahre.
Für August Sander begann mit den 1920er Jahren in Köln eine überaus produktive Schaffensphase, die über den gesamten Verlauf der Weimarer Republik (1919-1933) anhielt. Als kommerzieller Fotograf führte er zahlreiche hochwertige Auftragsarbeiten im Bereich der Architektur- und Werbefotografie aus. In seinem Porträtstudio und auf Reisen durch das Kölner Umland, nach Berlin oder Wien entstanden eine große Zahl an Porträts und hochwertigen Landschaftsaufnahmen.
Das Kölner Wohnhaus als Lebensmittelpunkt der Familie Sander war für viele Künstler und Freunde eine regelmäßige Anlaufstelle. Für manche wurde sie sogar zur zeitweiligen Heimat. Bei gemeinsam verbrachten Mahlzeiten etablierte sich ein reger Austausch über Musik, Kunst, Politik und das Leben in Köln. Hier zeiget sich das ernsthafte, aktive Interesse der Sanders an der sie umgebenden Gesellschaft und an den Aktivitäten ihrer Mitglieder.
Im Haus Sander verkehrten konservative wie linke Politiker sowie Prominente aus dem gesamten Spektrum der Kunst und Kultur. Einen besonderen Einfluss übten Linksintellektuelle und linke Künstler – wie die ‚Kölner Progressiven‘ aus. Ihre politischen Ideen und ihre Kunst waren stete Begleiter der Familie und prägten das künstlerische Selbstverständnis von August Sander.[2]
Die Maler Franz Wilhelm Seiwert, Heinrich Hoerle, Gerd Arndtz und Jankel Adler waren Mitglieder der Künstlervereinigung „gruppe progressiver künstler“. Sie drückten ihre Weltsicht durch ihre politisch-künstlerischen Positionen und die Zeitschrift ‚a bis z‘ aus. August Sander unterstützte seine Künstlerfreunde, indem er ihre Werke fotografisch ablichtete. Im Gegenzug wurde er gelegentlich mit Kunstwerken entlohnt, von denen einige über viele Jahre die privaten Wohnräume der Familie Sander schmückten.
Die fortlaufende Arbeit August Sanders, insbesondere die Porträts der Westerwälder Bauern, war nicht nur rein kommerzieller Art. Mitte der zwanziger Jahre formulierte Sander zum ersten Mal ein Konzept für seinen physiognomisch-soziologischen Atlas ‚Menschen des 20. Jahrhunderts‘. Die Erwähnung seiner Pläne in einem Brief an Erich Stenger aus dem Jahr 1925 ist ein frühes Zeugnis seiner Absichten.
Die intensive Auseinandersetzung mit seinem Umfeld und besonders der Austausch mit Künstlern der ‚Kölner Progressiven‘ bestärkten ihn darin, sich weiter seinem ‚geistigen‘, ‚künstlerischen‘ beziehungsweise ‚konzeptuellen‘ Werk auseinanderzusetzen. Als eine Zusammenstellung von 45 Kulturmappen und einer sogenannten ‚Stammmappe‘ sollte ‚Menschen des 20. Jahrhunderts‘ zu einem Spiegel seiner Zeit und der darin lebenden Menschen werden. Das Besondere daran war Sanders humanistische und integrative Sicht auf die Gesellschaft, die alle sozialen Gruppen seines Umfeldes einbegriffen. Heute zählt das Werk zu einem der ambitioniertesten fotografischen Unterfangen der Zeit, das seinesgleichen sucht.
Seit 1925 erlernte Gunther Sander als dessen erster Lehrling das Fotografenhandwerk seines Vaters. Seit seiner Kindheit hatte Gunther in Studio und Betrieb der Familie mitgearbeitet. Auch Erich Sander hatte ein starkes Interesse an der Fotografie und fertigte für seinen Vater immer wieder Arbeiten an. Jedoch folgte er nicht seinem Vater in den Betrieb, sondern studierte Geschichte und Politik und engagierte sich aktiv in linken und kommunistischen Kreisen.
Im Herbst 1927 stellte August Sander im ‚Kölnischen Kunstverein‘ rund einhundert seiner Werke aus. Der Erfolg der Ausstellung gibt Sander weiteren Antrieb, an ‚Menschen des 20. Jahrhunderts‘ weiterzuarbeiten.
Als Prolog zu seinem großen Opus ‚Menschen des 20. Jahrhunderts‘ stellte August Sander 60 Motive zusammen, die unter dem Titel ‚Antlitz der Zeit‘ veröffentlicht werden sollten. Das Fotobuch ‚Antlitz der Zeit‘ erschien schließlich 1929 im Transmare Verlag begleitet von einem Text von Alfred Döblin. Es ist mit einer Ankündigung für die weit umfangreichere Publikation ‚Menschen des 20. Jahrhunderts‘ versehen - ein beigelegter ‚Bestellschein‘ ermöglichte sogar die Vorbestellung dieses über 500 Fotografien umfassenden Bandes. Im selben Jahr wurde August Sander Mitglied im ‚Deutschen Werkbund‘.
Im Frühjahr 1931 hielt Sander im WDR Rundfunk einen Vortrag „Zum Wesen und Werden der Fotografie“ in sechs Teilen.
August Sanders berufliche Erfolge der späten 1920er und frühen 1930er Jahre erfuhren seit der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 einen Rückschlag. Im November 1936 erhielt August Sander ein Schreiben des Verlags mit der Information, dass die restlichen Exemplare des Buches ‚Antlitz der Zeit‘ beschlagnahmt wurden und der weitere Vertrieb eingestellt wurde. August Sander setzte seine Arbeit als kommerzieller Porträtfotograf in seinem Studio weiter fort. Seine Porträts, die er als private Auftragsarbeiten von Kölner Juden zwischen 1936 und 1939 anfertigte, zählen zu seinen eindrücklichsten Werken.
Aufgrund seiner politischen Aktivitäten wurde Erich Sander 1934 verhaftet und zu 10 Jahren Zuchthaus wegen Hochverrats verurteilt. 1944 starb Erich Sander im Gefängnis aufgrund eines unbehandelten akuten Blinddarmdurchbruchs. In dieser Zeit war Sanders Sohn Gunther als Soldat der Wehrmacht an der Ostfront. Die Tochter Sigrid Sander hatte ebenfalls eine Neigung zur Fotografie und war auf Reisen und später dauerhaft im Ausland auch journalistisch tätig. Sie immigrierte während des Zweiten Weltkriegs nach Großbritannien, Island und schließlich in die Vereinigten Staaten.
Noch im gleichen Jahr, 1944, verließen Anna und August Sander mit ihrem Besitz und großen Teilen der Glasnegative die Stadt Köln. Während eines Luftangriffs im Frühjahr 1945 wurde das Haus der Familie Sander in Köln vollkommen zerstört. Nach dem Krieg, im Jahr 1946, brannte auch der Keller mit zahlreichen, dort gelagerten Negativen vollständig aus.
Durch das nationalsozialistische Regime und den Zweiten Krieg wirtschaftlich und persönlich stark gezeichnet, hatte August Sander der Stadt Köln 1944 gemeinsam mit seiner Frau Anna den Rücken gekehrt. In einer Zeit, als Köln vor dem wirtschaftlichen und infrastrukturellen Kollaps stand und die Gefahr einer Bombardierung aus der Luft ein reales Risiko darstellte, brachte das Ehepaar Sander mit Hilfe von eingeweihten Freunden und ihrer Assistentin ihren Besitz aus der Stadt.
Kuchhausen, ein Dorf im Westerwald ohne Durchfahrtsstraße, war selbst gegen Kriegsende ein Paradies. Anna und August lebten in einem Fachwerkhaus in der Mitte des Dorfes. In dem sogenannten Arbeitszimmer, das zugleich Wohnzimmer und, vor allem im Winter, auch Esszimmer war, verbrachten Anna und August die Abende […][3]
Im kleinen Dorf Kuchhausen bei Windeck im Westerwald richtete das Ehepaar Sander seinen neuen Wohnsitz ein. Hier besuchten ihn über die Jahre zahlreiche Freunde und Persönlichkeiten aus der Fotografie. Unter diesen Gästen waren auch L. Fritz Gruber, der August Sander auf der photokina 1951 erstmals nach dem Krieg ausstellte, und Edward Steichen, der Werke August Sanders für das Museum of Modern Art in New York erwarb und ihn dort unter anderem in der Gruppenausstellung ‚Family of Man‘ 1953 zeigte. Im Jahr 1957 starb Anna Sander.
Im Jahr 1959 veröffentlichte das Schweizer Magazin „du“ eine Serie von 50 Fotografien August Sanders begleitet von einem Text von Golo Mann. Im gleichen Jahr erwirbt die Stadt Köln Sanders Werk ‚Köln wie es war‘, das sich aus 16 Bildmappen zusammensetzt. 1960 wurde Sander mit dem Bundesverdienstkreuz erster Klasse ausgezeichnet, 1961 mit dem Kulturpreis der Deutschen Gesellschaft für Photographie (DGPH). 1962 erschien Sanders Buch ‚Deutschenspiegel‘ mit einem Vorwort von Heinrich Lützeler.
August Sander starb am 20. April 1964 in Köln. Obwohl es zeitlebens August Sanders Wunsch blieb, wieder dauerhaft zurück nach Köln zu kommen, verbrachte er den restlichen Teil seines Lebens in einem kleinen Fachwerkhaus mit kleinem Bauerngarten, umgeben von der Natur und den Menschen des Westerwalds.